Passengers wearing face masks walk with their luggage in front of the Beijing Railway Station in Beijing, China, 10 January 2023.
Studie
21 Minuten Lesedauer

Olaf Scholz in Beijing + Mehr Staat für die Wirtschaft + Skepsis gegenüber digitaler Währung


China SpektrumDiese Analyse erschien in der Reihe China Spektrum, ein gemeinsames Projekt des China-Instituts der Universität Trier (CIUT) und des Mercator Institute for China Studies (MERICS). Das Projekt wird ermöglicht durch die Förderung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Mehr erfahren Sie hier.


Auf einen Blick

Die strengen und oft willkürlichen Covid-Maßnahmen lösten Ende November in mehreren Teilen des Landes Proteste aus. Zentrale Anliegen waren Lockerungen der drastischen Einschränkungen und staatlichen Kontrolle im Alltag, aber auch besserer Schutz von persönlichen Rechten und Freiheiten. Im Laufe des Jahres hatten Chinas Netzbürger:innen wiederholt Zweifel und Widerstand gegen die staatliche Pandemie-Politik geäußert. Chinas Sicherheitsbehörden konnten die Proteste schnell eindämmen und Diskussionen zensieren. Dennoch machen die Ereignisse deutlich, dass Online-Debatten und Proteste wichtige Indikatoren für die Beobachtung der chinesischen Entwicklung sind.

Chinas Rolle in der Welt

Scholz in China: „Positives Signal“ an Europa, die Beziehungen zu verbessern

Die China-Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz Anfang November wird von chinesischen Deutschland- und Europa-Expert:innen als gutes Zeichen für stabile Beziehungen gesehen. Scholz wird als Macher beschrieben, der sicherstellen kann, dass bilaterale Beziehungen weiter auf das Wesentliche fokussieren: wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Kommentare weichen in ihren Einschätzungen kaum von der offiziellen Linie ab. Dies birgt für Chinas Regierung gewisse Risiken, da grundsätzlichere Veränderungen in der deutschen China-Politik und öffentlichen Wahrnehmung des Landes unterschätzt werden könnten.

Chinas Zukunftsvorstellungen

Ökonom Wen Tiejun: Mehr Staat für die Wirtschaft in unsicheren Zeiten

Der „gemeinsame Wohlstand“ ist eines der zentralen Projekte von Xi Jinping, wird aber durch wirtschaftliche Probleme in Frage gestellt: Die langanhaltenden Covid-Maßnahmen gefährden die Wachstumsdynamiken und soziale Stabilität. Der Agrarökonom Wen Tiejun schlägt daher das Modell einer „volksorientierten Wirtschaft“ vor, mit einem starken Fokus auf die Entwicklung ländlicher Regionen durch kollektive Betriebe. Andere Wirtschaftsexpert:innen äußern dagegen Bedenken mit Blick auf zu viel Staatskontrolle und zu wenig Marktdynamik.

Chinas digitale Transformation

Skepsis gegenüber dem digitalen Yuan

Während Online-Bezahldienste wie Alipay in China allgegenwärtig sind, stockt die Ausweitung des e-CNY seit Jahren. Expert:innen sehen die Pläne der Zentralregierung und die Erfolgsaussichten eher skeptisch: Die „kontrollierbare Anonymität“ durch staatliche Finanzbehörden rufe bei Nutzern Datenschutzbedenken hervor, zumal es bereits etablierte Alternativen gibt. Außerdem habe die Zentralregierung keine ausreichenden Fortschritte in der Internationalisierung des Yuan erzielt. Nächste Schritte der Regierung – Ausweitung im Binnenkonsum oder Zahlungsoption bei Handelsabkommen – werden Aufschluss über Chinas zukünftige wirtschaftliche Prioritäten geben.

Einleitung: Von Online-Debatten zu Straßenprotesten

Ende November 2022 gingen in verschiedenen Landesteilen in China Menschen auf die Straße, um gegen die willkürlichen Corona-Maßnahmen zu protestieren. Das Besondere: Die Protestierenden stammten aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten, sie sangen sowohl die chinesische Nationalhymne als auch die “Internationale”, sie trugen mal Maske, mal keine. Wut und Frustration hatten sich über Wochen und Monate von Lockdowns und Tests gesteigert und brachen sich nun Bahn.

Auslöser war der Brand in einem Wohnhaus in Ürümqi, der Hauptstadt der nordwestlichen autonomen Region Xinjiang, bei dem am 24. November mindestens zehn Menschen starben. Eine Absperrung zur Aufrechterhaltung strenger Quarantänemaßnahmen hatte die Rettungsversuche behindert. Zur gleichen Zeit sahen die Menschen Bilder von Partei- und Staatschef Xi Jinping ohne Maske beim G20-Gipfel auf Bali und von Zuschauern bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar, die ohne erkennbare Corona-Beschränkungen in den Stadien feierten.

Die Protestierenden in China prangerten die Lockdown-, Test- und Quarantäne-Politik als Folge systematischer Intransparenz und als einen „Sicherheit über alles”-Reflex der chinesischen Regierung an. Sie verlangten das Ende der strikten und willkürlichen Pandemie-Maßnahmen. Manche forderten auch Rechtsstaatlichkeit und freie Meinungsäußerung sowie vereinzelt den Abtritt Xi Jinpings und der Kommunistischen Partei Chinas (KPC).

Die unterschiedlichen Forderungen sind Ausdruck eines breiten Meinungsspektrums, sie spiegeln Angst vor Repressionen, Sorge vor Ansteckung, Statuskalkül und Resignation in der chinesischen Gesellschaft wider. Verbindendes Element aller Proteste war die Frustration über mangelnde Zukunftsperspektiven.

Bereits in den letzten Wochen und Monaten hatte sich in Chinas sozialen Medien zunehmend Unmut abgezeichnet, beispielswiese nach einem tödlichen nächtlichen Busunfall auf dem Weg zu einem Quarantänezentrum oder weil überlebenswichtige medizinische Behandlungen verzögert oder verweigert wurden. Beijing schien nicht auf die Proteste vorbereitet. Die Staatsmedien und das Außenministerium der Volksrepublik schwiegen sich zunächst aus und schoben sie dann auf Saboteure und “ausländische Infiltration”.

Auch wenn die Proteste nun durch massives Vorgehen des Sicherheitsapparats vorerst gestoppt scheinen: Sie haben auch mit Blick auf Positionen und Debatten innerhalb der chinesischen Gesellschaft weitreichende Implikationen für das kommende Jahr:

Weitere Repressionen und Überwachung: Insbesondere an den Universitäten und in urbanen Ballungszentren dürfte die systematische Einschränkung bzw. das Verbot von ausländischen sozialen Plattformen und Apps, ideologische Indoktrinierung sowie digitale Überwachung anhalten oder noch zunehmen.

(Neu) erwachtes Bürgerbewusstsein: Für viele junge Chines:innen waren die Proteste die erste kollektive Beteiligung an der Politik außerhalb formaler und oft als langweilig empfundener Kanäle. Dieses politische Erwachen könnte eine neue politische Kultur, inklusive intensivere Online-Diskussionen nach sich ziehen. Auch nicht wenige Chinese:innen im Ausland sind durch die Proteste erstmals oder erneut politisiert worden.

Neue Vernetzungsmöglichkeiten: Über nicht-chinesische soziale Medien, aber auch unterstützt durch Chines:innen im Ausland haben die Protestierenden neue Kontakte geknüpft und internationale Solidarität erfahren. Trotz der unmittelbar auf die Proteste gefolgten Repressionen ist anzunehmen, dass diese auf gemeinsamen Erfahrungen aufbauenden Netzwerke weiterbestehen und möglicherweise neue Kommunikations- und Koordinierungsmöglichkeiten schaffen werden.

Neuer Umgang mit Covid-19: Nach dem 20. Parteikongress verkündete Beijing im November zunächst einen 20-Punkte-Plan für eine graduelle Lockerung der Covid-Politik. Die Regierung wurde jedoch von der Realität überholt. Aufgrund drastischer wirtschaftlicher Einbußen, leerer Kassen bei lokalen Regierungen wegen der kostspieligen Pandemieschutzmaßnahmen sowie erkennbaren Unmuts in der Gesellschaft setzte die chinesische Führung Mitte Dezember die Einschränkungen fast komplett aus, ebenso die Nachverfolgung von Bewegungen und Kontakten mittels der nationalen Gesundheitsapp.

Seither steigen die Fallzahlen drastisch an. Die chinesische Bevölkerung war für diese Kehrtwende nur unzureichend geschützt. Die letzten Booster-Impfungen liegen beim Gros der Bevölkerung mehr als ein Jahr zurück. Damals wurden zudem prioritär die erwerbsfähigen Teile der Bevölkerung geschützt, während ältere und vulnerable Gruppen geringen Impfschutz hatten. Die Kapazitäten des Gesundheitssystems liegen deutlich hinter dem vieler europäischer Staaten, es drohen Engpässe in der medizinischen Versorgung.

Der chinesischen Regierung steht damit neben der gesundheitspolitischen auch eine kommunikative Herausforderung bevor: Sie muss das Vertrauen der Bevölkerung mit klaren Zielen und neuen Freiheiten zurückgewinnen und die Risiken durch Covid-19 realistisch kommunizieren. Während offizielle Stellen in den vergangenen drei Jahren die Gefahr durch das Virus überzogen darstellten und differenzierte Expertenstimmen teils zensierten, reden Staatsmedien diese nun zum Teil klein. Der neue Appell an die Eigenverantwortung beim Infektionsschutz überrascht die Bürger:innen, die unter Xi Jinping paternalistisches Diktat gewohnt waren und sukzessive Räume und Gelegenheiten zur Selbstorganisation verloren hatten.

Für die deutsche China-Debatte und -Politik ist es wichtig zu erkennen, wie sich das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft im kommenden Jahr weiterentwickelt, wie Bürger:innen und die Privatunternehmer:innen auf die Zukunft blicken, und welche Online-Debatten Sprengstoff und Risiken für die chinesisch-deutschen und -europäischen Beziehungen bergen.

In dieser Ausgabe des China Spektrum Reports blicken wir auf folgende Themen:

Im November besuchte Bundeskanzler Olaf Scholz China, als erster westlicher Regierungschef seit dem Ausbruch der Pandemie. Wir blicken auf die Einschätzung chinesischer Deutschland-Expert:innen und konstatieren einen eindimensionalen Fokus auf die wirtschaftlichen Beziehungen und die Überzeichnung von Scholz als Person.

Der chinesische Agrarökonom Wen Tiejun plädiert für ein Zurück zu einer „volksorientierten Wirtschaft“: Staatsgelenkte Betriebe und Versorgungsketten sollen Chinas Wirtschaft stabil und unabhängig machen, während private und ausländische Unternehmer eher eingehegt werden sollen.

Angesichts der kriselnden Wirtschaft sucht die chinesische Regierung nach neuen, kontrollierbaren Wachstumsimpulsen. Der digitale Yuan soll die Digitalisierung der Wirtschaft staatlich kontrolliert voranbringen, doch chinesische Expert:innen haben Zweifel an dem Potenzial der e-Währung, sich als Zahlungsmittel zu etablieren.

Chinas Rolle in der Welt

Scholz in China: „Positives Signal“ an Europa, die Beziehungen zu verbessern

Am 4. November 2022 flog Bundeskanzler Olaf Scholz mit einer Wirtschaftsdelegation für einen Tag nach Beijing, um Gespräche mit Staats- und Parteichef Xi Jinping zu führen. Es war eine Reise der drei Premieren (三个首次), wie es die chinesische Presse nannte: Scholz besuchte China als erster Staatsgast nach dem 20. Parteitag im Oktober und als erster westlicher Regierungschef seit Beginn der Pandemie in China und erstmals in seiner Funktion als deutscher Bundeskanzler. Beide Länder blicken dieses Jahr auf 50 Jahre deutsch-chinesische Beziehungen zurück. Chinesische Staatsmedien feierten den Besuch als positives Signal einer stabilen Zusammenarbeit und Scholz als Garant für Kontinuität. Symbolisch dafür steht seine 40 Jahre alte Aktentasche, die in Artikeln vielfach Erwähnung fand.

In Deutschland wurde Scholzʼ China-Reise kritisch diskutiert und auf Werte- und Interessenkonflikte mit der Volksrepublik hingewiesen, gerade mit Blick auf Menschenrechtsverletzungen und wirtschaftliche Abhängigkeiten. Diese Bedenken sollen auch im Rahmen einer neuen, ressortübergreifenden China-Strategie der Bundesregierung adressiert werden, an der federführend das Auswärtige Amt arbeitet und die in die China-Politik der EU eingebettet sein soll.

Auch wenn die neue Strategie erst 2023 fertiggestellt wird, ist schon jetzt klar: die Tendenz geht in Richtung einer wertegeleiteten Außenpolitik und eines Abbaus wirtschaftlicher Abhängigkeiten. Scholz sprach sich einige Tage vor seiner Reise in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung gegen eine Abkopplung von China aus. Er kündigte zugleich auch den Abbau einseitiger Abhängigkeiten an. Zwar solle eine Blockbildung vermieden und gemeinsam der Einsatz von Nuklearwaffen verhindert werden. Zugleich merkte er jedoch an, dass ein anderer Umgang mit China notwendig sei.

Scholz war das erste, aber nicht das einzige westliche Staatsoberhaupt, das im November und Dezember 2022 nach langer Pause Xi persönlich traf. Auch US-Präsident Biden und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron trafen Chinas Staats- und Parteichef – allerdings am Rande des G20-Gipfels auf Bali. Anfang Dezember folgte dann die Reise von EU-Ratspräsident Charles Michel nach Beijing. Angesichts zunehmender Spannungen mit westlichen liberalen Demokratien legt Beijing in seinen Außenbeziehungen den Schwerpunkt verstärkt auf andere Staaten und Regionen.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig zu verstehen, wie Deutschland, aber auch verbündete westliche Staaten, in China diskutiert werden und was die chinesischen Erwartungshaltungen mit Blick auf die politischen Beziehungen sind.

Abbildung 1

Pragmatisch, rational und wirtschaftsbezogen: Chinesische Experten-Diskussionen über Deutschland weichen kaum von der offiziellen Position ab

Der Rahmen des Sagbaren ist für Akdemiker:innen in Anbetracht von ideologischer Disziplinierung kleiner geworden, auch wenn Expert:innen in Forschungsbeiträgen, Artikeln oder Videos in sozialen Medien immer wieder Grenzen ausloten. Auch die Reisebeschränkungen der vergangenen Jahre und Zensur internationaler Seiten erschweren es chinesischen Wissenschaftler:innen, sich mit Debatten in Deutschland und Europa auseinanderzusetzen.

Zum Scholz-Besuch und den deutsch- und europäisch-chinesischen Beziehungen meldeten sich renommierte Deutschland- und Europa-Expert:innen zu Wort – doch gab es wenig grundlegende Differenzen in ihren Einschätzungen und kaum Abweichungen von der offiziellen Position. Das zeigt auch die folgende Auswahl zentraler Aussagen:

Zur Bedeutung des Scholz-Besuchs:

Chinesische Expert:innen konzentrieren sich in ihren Analysen zum Treffen von Scholz und Xi fast ausnahmslos auf die Bedeutung stabiler wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Der Besuch von Scholz wird als klares Signal für die Fortführung wirtschaftlicher Beziehungen und als „Anker der Stabilität“ (稳定之锚) für die chinesischen Beziehungen zur EU gesehen, so Cui Hongjian (崔洪建), Direktor des Instituts für Europastudien der Chinesischen Akademie für Internationale Studien.

Die Absage an eine Abkopplung (脱钩) zieht sich als roter Faden durch die Beiträge, häufig mit Verweis auf das Zitat von Scholz, der eine Abkopplung für unmöglich erklärte. Neben der wirtschaftlichen Zusammenarbeit werden auch gemeinsame Interessen in Bezug auf die Pandemiebekämpfung, den Klimawandel, die Energiekrise und die Verhinderung von Nuklearwaffeneinsätzen erwähnt – allerdings nicht das Thema Menschenrechte.

Chinesische Expert:innen teilen die Erwartung der chinesischen Regierung, dass die bilateralen Beziehungen mit Deutschland pragmatisch, rational und nicht unnötig politisch aufgeladen sein sollten. So schreibt Zheng Chunrong (郑春荣), Direktor des Instituts für Deutschlandstudien der Tongji-Universität, dass „das deutsche Außenministerium nur eine realistische China Strategie verfolgen solle.“ (外交部唯一能做的就是制定符合现实的对华战略).

Zu Scholz’ Rolle in der Gestaltung der deutsch-chinesischen Beziehungen:

Scholz führt aus Sicht der Expert:innen die China-Politik seiner Vorgängerin Angela Merkel fort. Sie betonen seinen Wirtschaftsfokus und seine langjährigen Beziehungen zu China aus seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister und Finanzminister.

Tian Dewen (田德文), Sekretär des Disziplinarausschusses und stellvertretender Direktor des Instituts für Europastudien der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, beschreibt, dass Scholz für pragmatische deutsch-chinesische Beziehungen steht und Durchsetzungsfähigkeit gegen Stimmen, die sich gegen eine Zusammenarbeit mit China aussprechen. Chinesische Expert:innen verweisen auf Scholz‘ Rolle beim umstrittenen Einstieg der chinesischen Staatsrederei COSCO im Hamburger Hafen. Zheng erklärt, von Scholz werde erwartet, dass er am eingeschlagenen Kurs festhält, Führungsstärke beweist, sich weiter durchsetzt und sich nicht von anderen Regierungspartnern die Zügel aus der Hand nehmen lässt. Mit Scholz assoziieren chinesische Expert:innen Rationalität, Pragmatismus und Verlässlichkeit.

Abbildung 2

Zu Problemen in den deutsch-chinesischen Beziehungen:

Wenn von einer Verschlechterung der Beziehungen gesprochen wird, wird dafür zumeist eine kritische Minderheit in der deutschen Regierung verantwortlich gemacht, allen voran einzelne Vertreter:innen der Grünen und die FDP, die auf Basis nicht rationaler Entscheidungen handelten. Yang Xiepu (杨解朴), Direktorin des Deutsch-Chinesischen Kooperationszentrums der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, thematisiert die Einflussnahme der USA, die versuchten, einen Keil zwischen China und die EU zu treiben.

Chinesische Expert:innen begründen das Misstrauen der EU-Staaten mit dem Umstand, dass China in der „Ukraine-Krise“, wie der Krieg in China meist genannt wird, nicht dieselbe Position einnimmt wie die EU. Tian begründet das angeschlagene Vertrauen zudem damit, dass sich Länder angesichts der angespannten geopolitischen Lage (Krieg in der Ukraine, Energiekrise, Klimawandel) stärker auf eigene Interessen statt auf internationale Zusammenarbeit konzentrierten.

Zu den Beziehungen zu Frankreich, der EU und den USA:

Auch hier erachten die Expert:innen Xis bilaterale Gespräche mit Biden, Macron und Michel als positiv. Sie wiederholten Forderungen der Regierung, dass man gemeinsam den Multilateralismus stärken, die internationale Ordnung verteidigen und sich für eine stabile Weltwirtschaft einsetzen solle.

Aus Sicht einiger Beobachter:innen, darunter Professor Yang Mian (杨勉) vom Institut für Internationale Beziehungen an der Chinesischen Kommunikationsuniversität, verfolgt die EU gegenüber China eine „zweigleisige Politik“ (欧洲的政策具有两面性): viele europäische Staaten stehen den USA ideologisch näher, vor allem seit dem Krieg in der Ukraine, haben allerdings enge Wirtschaftsbeziehungen mit China. Expert:innen wie Tian argumentieren, dass China vertrauenswürdiger und stabiler sei als die USA – auch als Partner für Deutschland. Sie betonen die moralische Überlegenheit und Weitsichtigkeit Chinas.

Ansichten über die beiderseitigen Beziehungen klaffen in Deutschland und China weit auseinander

Die Medienberichterstattung und Experten-Debatten zeigen: in China wird Deutschland als wichtiger Partner und Verbündeter gesehen. Dem Treffen von Xi und Scholz wird eine Signalwirkung an die EU zugeschrieben. Bezeichnend ist, dass die Expert:innen in ihren Einschätzungen sehr dicht an der Darstellung und Wortwahl der Staatsmedien und öffentlichen Stellungnahmen bleiben.

In der Debatte über die beiderseitigen Beziehungen in Deutschland dominieren hingegen kritische Sichten auf China: Hierzulande findet seit Monaten mit Blick auf die Kanzlerreise, die Entscheidung zur Beteiligung von COSCO im Hamburger Hafen und die in Arbeit befindliche China-Strategie der Bundesregierung eine intensive Diskussion darüber statt, wie die zukünftige Zusammenarbeit mit China aussehen sollte.

In drei zentralen Punkten unterscheidet sich die chinesische Wahrnehmung und Erwartungshaltung grundlegend von der deutschen Position:

Gestaltung der Beziehungen: Die chinesische Regierung wünscht sich mehr Zusammenarbeit, setzt aber den Schwerpunkt auf die Wirtschaftsbeziehungen. Unterschiedliche Ansichten zu einzelnen Themen werden akzeptiert, doch China erwartet Pragmatismus und keine „Politisierung“ der Beziehungen. Auch wenn es nicht direkt thematisiert wird, schwingt die Erwartung mit, dass für Beijing heikle Themen wie Menschenrechte und der Status Taiwans nicht angesprochen werden und China bei Investitionen und dem Marktzugang in Deutschland keine Einschränkungen auferlegt werden sollten.

Rolle und Gestaltungsspielraum von Olaf Scholz: Scholz’ Position wird als China zugewandt und seine Handlungsmacht innerhalb der deutschen Regierung als sehr stark interpretiert. Scholz wird als Macher gesehen, der sich für enge Beziehungen mit China einsetzt und sich dabei auch gegen FDP und Grüne durchsetzt.

Politische und öffentliche Debatte: Die Sorgen von deutschen Unternehmen, politischen Entscheidungsträgern und zivilgesellschaftlichen Akteuren, die in der Diskussion um Abkopplung und eine neue Strategie für den Umgang mit China zum Ausdruck kommen, bleiben in chinesischen Diskussionen unerwähnt oder werden als Minderheitsmeinungen bewertet. Auch die öffentliche Wahrnehmung Chinas in Deutschland nicht beleuchtet: Dabei hat die Zahl der Deutschen mit überwiegend negativem Bild von China laut einer Pew-Umfrage 2021 mit 74 Prozent einen Rekord erreicht. 78 Prozent gaben an, Deutschland solle sich auch dann für Menschenrechte einsetzen, wenn dies wirtschaftliche Nachteile zur Folge hätte.

Das Ausblenden von Konfliktthemen mit Deutschland auf chinesischer Seite birgt Risiken

Die Analysen dieses offiziellen Besuchs bilden nicht die gesamte chinesische Debatte über die Beziehungen zu Deutschland ab. Zudem bestand auf chinesischer Seite angesichts des 50. Jahrestags der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Deutschland ein Interesse, optimistisch nach vorne zu blicken. Doch zeigt diese Momentaufnahme dieser in China unter Deutschland- und Europa-Kenner:innen geführten Debatte, dass manche Erwartungen des Parteistaats an die bilateralen Beziehungen unrealistisch sein dürfen.

Dies zeigt sich in einer eindimensionalen Einschätzung und Überbetonung der positiven Ergebnisse des Treffens und der persönlichen Handlungsmacht des Kanzlers im deutschen politischen System, aber auch in der Ausblendung der breiteren öffentlich Debatte zum Umgang mit China in Deutschland. Diese Sichtweisen können Probleme und zunehmendes Konfliktpotential in den deutsch-chinesischen Beziehungen überdecken. So könnte es schnell zu falschen Erwartungen und Auseinandersetzungen zwischen den beiden Staaten kommen, wenn Deutschland – und auch Olaf Scholz – dem chinesischen Wunsch nicht folgt, den Primat der Wirtschaft walten zu lassen.

Weiterführende Informationen:

Chinas Zukunftsvorstellungen

Ökonom Wen Tiejun: Mehr Staat für die Wirtschaft in unsicheren Zeiten

Die Proteste gegen die strenge Covid-Politik der chinesischen Führung und willkürliche Lockdowns haben deutlich gemacht, dass sich Menschen in vielen Teilen des Landes in ihrer Lebensgestaltung grundlegend eingeschränkt fühlen. Der Kontrollanspruch des Parteistaats droht den eigenen Traum von individueller Freiheit und Wohlstand sowie deren Grundlage, die nationale Wirtschaftsdynamik, zu ersticken.

In diesem Zusammenhang hat die bereits seit längerer Zeit geführte Grundsatzdebatte unter Chinas Eliten, wieviel Markt und wieviel Staat die chinesische Wirtschaft braucht und bzw. die Kommunistische Partei (KPC) erlauben soll, weiter an Dringlichkeit gewonnen. Besorgt beobachten Expert:innen und Unternehmer:innen in der Volksrepublik jede öffentliche Äußerung von Partei- und Staatschef Xi Jinping, insbesondere zur Konkretisierung seines Konzepts des „gemeinsamen Wohlstands“. Einige befürchten, dass Xi durch seine Betonung von Autonomie und seinem Vorgehen gegen die private Digitalwirtschaft China wieder Richtung Planwirtschaft wie zur Zeiten Mao Zedongs verändern will.

Weiter angefacht wurde die Debatte Ende September 2022, kurz vor dem 20. Parteitag der KPC. Auf verschiedenen sozialen Medien, u.a. der Videoplattform Douyin, tauchte ein Interview zum Thema Wirtschaftspolitik mit Wen Tiejun auf, einem der bekanntesten Agrarökonomen des Landes. Eingerahmt wurde das nicht klar einem Medium zuzuordnenden Gespräch von Archivaufnahmen aus den 1960er und -70er Jahren, die Szenen von landwirtschaftlichen Kollektiven zeigten. In dem Interview sprach sich Wen für eine „volksorientierte Wirtschaft“ aus. Der Beitrag löste eine rege Debatte aus.

Rückkehr zur Planwirtschaft? Wens Konzept der „volksorientierten Wirtschaft“

Wen definiert die „volksorientierte Wirtschaft“ (人民经济) dieses zunächst als ein „die autonome Entwicklung des Landes schützendes, patriotisches Wirtschaftswesen“ mit vier Besonderheiten: es ist autonom (自主性), lokal (在地性), umfassend (综合性) und auf die Bedürfnisse der Bevölkerung ausgerichtet (人民性).

Obwohl diese Begriffe wie typischer Parteijargon klingen, ließ insbesondere Wens Interpretation des Begriffs „umfassend“ aufhorchen. Wen spricht sich für die Definition größerer „sozialer Bereiche“ (社会事业) aus, die in kollektivem Besitz bleiben. Private chinesische Unternehmen oder ausländische Firmen sollen hier keinen Zugang haben. Liberalere chinesische Ökonomen kritisierten Wens Äußerungen scharf und werteten sie als Plädoyer für die Rückkehr zu planwirtschaftlichen Strukturen:

So äußerte sich Ren Zeping, ehemaliger Chefökonom beim Immobilienriesen Evergrande stellvertretend für andere führende liberale Ökonomen:

„Kürzlich lehnte ein sogenannter ‘Professor’ [gemeint ist Wen Tiejun] die Marktwirtschaft ab und propagierte eine Rückkehr zu Planwirtschaft und Abschottung. Dieses Modell ist weltweit schon mehrfach gescheitert. […] Er ist ungebildet und seine Ansichten sorgen bei Privatunternehmen für große Befürchtungen. […] China hat von der Marktwirtschaft und Globalisierung profitiert, sie gefördert und mitvorangetrieben). China wird auch in Zukunft am System der Marktwirtschaft und Internationalisierung festhalten.”

Abbildung 3

Wen Tiejun hatte bereits im Sommer 2021 auf dem renommierten „Forum mit 40 Wissenschaftlern zur politischen Ökonomie Chinas“ das Konzept der „roten Wirtschaft“ (红色经济) vorgestellt. Neben den vier Charakteristika der „volksorientierten Wirtschaft“ betonte Wen in seinem Vortrag vor allem die nationalistisch aufgeladenen Dimensionen des „Antiimperialismus“ und „Antikolonialismus“. „Rot“ steht dabei für eine ideologisch verklärte Wahrnehmung von Kommunismus und Sozialismus – definiert und bewahrt durch die Kommunistische Partei.

In seinen früheren Publikationen und Reden zur Lage des ländlichen Chinas hatte sich Wen zwar bereits klar für eine stärkere Rolle des Staates ausgesprochen. Er betonte dabei jedoch eine stärker moderierende Rolle des Parteistaats, der vor allem soziale Ungleichheit und den ökologischen Raubbau in der chinesischen Landwirtschaft bekämpfen sollte.

Ökonom:innen meinen, dass Wen mit dem Konzept der „volksorientierten Wirtschaft“ planwirtschaftliche Mechanismen als Lösung für Chinas kriselnde Wirtschaft propagieren will und dabei von populistischen Vertretern einer maoistischen Linken in der Partei unterstützt wird. Die unter Xi Jinping jüngst wiederbelebten „Versorgungs- und Absatzgenossenschaften“ (供销社) bieten Wen und seinen Mitstreitern dabei eine unverfängliche Anknüpfmöglichkeit, auch wenn er dies selbst nicht erwähnt. Die 1950 gegründeten Genossenschaften waren vor Beginn der Reform- und Öffnungspolitik 1978 eine bedeutende planwirtschaftliche Organisationsform und zuständig für den Handel zwischen Stadt und Land. Im Laufe der Zeit verloren sie immer mehr an Bedeutung, gänzlich verschwunden sind sie jedoch nie.

2022 initiierte die Zentralregierung in unterschiedlichen Teilen des Landes, darunter auch Guangdong und Beijing, die Wiederbelebung von bestehenden und die Einrichtung von neuen Genossenschaften. Diese sind offensichtlich sowohl ein Element von Xis wirtschaftlicher Strategie für den Aufbau einer einheitlichen Versorgung als auch eine Entlastung für mögliche Engpässe, z.B. durch die strikte „Null-Covid-Strategie“.

Mehr Staat oder mehr Markt – der Kurs bleibt unklar

Wen Tiejun äußerte sich kaum zur Kritik an seinen Ideen und ließ stattdessen andere für sich sprechen. Diese Kommentatoren wiesen den Vorwurf zurück, dass er eine Rückkehr zur Planwirtschaft forderte. Sie bezeichneten Wen als einen der wenigen Wissenschaftler, denen die Entwicklung des ländlichen Chinas ein Anliegen sei.

Ob das Konzept der „volksorientierten Wirtschaft“ tatsächlich als ein Testballon oder Signal für eine stärkere staatliche Lenkung der Wirtschaft angesehen werden kann, lässt sich nicht sagen. Die Verunsicherung der Experten hängt auch damit zusammen, dass Xi Jinping sein Konzept des „gemeinsamen Wohlstands“ bislang nicht mit konkreten Inhalten gefüllt hat. Dies liegt auch daran, dass Xi in der Partei zwischen den Befürwortern einer markt- und denen einer staatsorientierten Wirtschaft offensichtlich trotz seiner Machtfülle weiter Kompromisse suchen muss. Er wolle zunächst „den Kuchen“ größer machen, um dann eine Umverteilung vornehmen zu können, lautet derzeit Xis Devise.

Mit welchen Mechanismen und Mitteln dies geschehen soll, ist vor dem Hintergrund der jüngsten Protestwelle eine drängende Frage für die Parteiführung. Zwar wurden die strikten Covid-Restriktionen in weiteren Teilen des Landes im Dezember auch mit Blick auf die Revitalisierung der Wirtschaft gelockert. Doch bringen auch Krankheitswellen wirtschaftliche Kosten, die insbesondere kleinere Unternehmen und sozial Schwächere treffen. Es ist daher wichtig zu beobachten, ob das Konzept der „volksorientierten“ Wirtschaft weiter Aufwind bekommt und welche konkreten Maßnahmen damit möglicherweise verknüpft werden.

Weiterführende Informationen:

Chinas digitale Transformation

Skepsis gegenüber dem digitalen Yuan

Zwischen dem Schutz personenbezogener Daten und dem Kampf gegen illegale Transaktionen müsse eine „delikate Balance“ gefunden werden, erklärte Chinas Zentralbankchef Yi Gang Ende Oktober 2022 mit Blick auf Chinas digitalen Yuan (e-CNY,数字人民币). Yu sagte das aus gutem Grund, denn die Adaption des e-CNY als Zahlungsmittel ist trotz intensiver offizieller Bemühungen ins Stocken geraten. Zwar hat der e-CNY im Oktober den Meilenstein von 100 Milliarden Yuan (ca. 13,41 Milliarden EUR) Transaktionsvolumen durchbrochen. Allerdings verblasst dieser Wert im Vergleich mit Chinas beliebtem Zahlungsdienst Alipay, welcher auf ein Transaktionsvolumen von mehr als zehn Billionen Yuan (ca. 1,34 Billionen EUR) kommt.

Ein kurzer Blick auf die Entwicklung des e-CNY:

  • 2014 richtete die chinesische Zentralbank PBOC eine Forschungsgruppe für die digitale Währung (Central Bank Digital Currency, CBDC) mit einem Fokus auf Blockchain-Technologien ein.
  • 2013 schränkte die chinesische Regierung geschäftliche Aktivitäten von Finanzhäusern mit Bitcoin und anderen Kryptowährungen (虚拟货币) ein. 2021 folgte das offizielle Verbot für alle Transaktionen.
  • Seit 2020 versucht die chinesische Regierung mit der Ausweitung von regionalen Pilotprojekten, Vertrauen in die neue Währung zu schaffen. Mittlerweile existieren in rund 15 Provinzen Versuchsprojekte, unter anderem zu Finanzdienstleistungen, Bezahlmöglichkeiten und Gehaltsauszahlungen.
  • Bis zum 31. August 2022 wurden in den Pilotgebieten 360 Millionen Transaktionen im Wert von rund 100 Milliarden Yuan (ca. 13,41 Milliarden EUR) abgewickelt. Die offizielle eCNY-App der chinesischen Zentralbank nutzten im  Frühjahr 2022 rund 260 Millionen Menschen.

Chinas Experten zweifeln an rascher Etablierung des digitalen Yuan

Finanzexpertinnen und -experten in China begegnen den offiziellen Aussagen und Plänen der Regierung für den e-CNY mit Skepsis. Auf der renommierten, mit der Peking-Universität verbundenen Plattform Aisixiang verweisen Kommentatoren vor allem auf drei kritische Punkte:

1. Der e-CNY besitzt eine “kontrollierbare Anonymität” (可控匿名)

Chinas e-CNY basiert auf einem zentralisierten Betriebsmodell mit einer sogenannten „kontrollierbaren Anonymität“, das bedeutet Nutzerdaten dürfen nur unter bestimmten Bedingungen eingesehen oder weitergegeben werden. Dennoch sehen Nutzer:innen weiterhin ein großes Problem im mangelnden Schutz personenbezogener Daten. In einer Umfrage des renommierten iResearch-Instituts vom Februar 2022 nannten 54 Prozent der Befragten „Risiken für Schutz der Privatsphäre“ als Problem, welches nur durch „Manipulationsrisiken“ (64 Prozent) noch übertroffen wird.

Als problematisch bewerten die Kommentatoren die Anonymitätsanforderungen und die Guthaben- und Transaktionslimits der digitalen Geldbörsen. Mu Changchun (穆长春), Leiter des Instituts für digitale Währung, erklärt das Konzept mit der Redensart „kleine Mengen sind anonym, große Mengen sind nachweisbar“ (小额匿名、大额可溯). 

  • Niedrige Guthaben- und Transaktionslimits ermöglichen die Wahrung der Anonymität.
  • Eine Erhöhung des Transaktionslimits erfordert höhere Identifizierungs- und KYC-Standards (Know Your Customer), z.B. durch Angabe von Ausweis- und Bankdaten.

Die Behörden versichern, dass die Zentralbank sich an das chinesische Datenschutzgesetz (PIPL) hält und ohne offizielle Autorisierung, zum Beispiel von Strafverfolgungsbehörden, Dritten keinen Zugang zu persönlichen Finanzdaten gewährt. Expert:innen, darunter Wang Yongli (王永利), ehemaliger Executive Direktor der Bank of China, fürchten Lücken in der Gesetzgebung.

2. Der e-CNY ist nicht Teil einer abgestimmten Strategie zur Internationalisierung des Yuan

Experten sehen mehrere Gründe, weshalb der e-CNY wenig Potential bietet, die Internationalisierung des Yuan voranzutreiben:

  • Der e-CNY ist laut dem Weißbuch der chinesischen Zentralbank ein Einzelhandel-CBDC. Anders als Großhandel-CBDCs, die Zahlungen zwischen Finanzinstituten auf internationaler Ebene beschleunigen und erleichtern, dienen Einzelhandels-CBDC nur zum Austausch zwischen Verbrauchern und Unternehmen. Laut der Zentralbank wird der e-CNY nur als Geldmengenkategorie M0 (Bargeldersatz) auf den Markt gebracht.
  • Chinas strenge Kapitalverkehrskontrollen sorgen dafür, dass der Yuan im Land bleibt und verhindert somit, dass die Währung Einfluss am internationalen Kapitalmarkt gewinnt. Inländische Haushalte dürfen nicht im Ausland investieren, und ausländischen Anlegern ist der Zugang zu den chinesischen Finanzmärkten verwehrt.

So betonen auch die Ökonomen Zhang Ming (张明) und Wang Zhe (王喆), dass digitale Währungen nur eine Form der Währung sind, und der Fortschritt der Internationalisierung des Yuans letztlich von der wirtschaftlichen Stärke des Landes, seiner Position in der industriellen Wertschöpfungskette und der Tiefe, Breite und Liquidität der Finanzmärkte abhängt.

3. Es ist nicht sicher, ob der e-CNY die Konsumenten überzeugen wird

Der e-CNY hat gegenüber den etablierten und privaten digitalen Bezahldienstleistern, Alipay und WeChat Pay, folgende Nachteile:

  • Durch die Kategorisierung „M0“ wird er wie nicht verzinsliches Bargeld  behandelt. Geld auf Plattformen wie Alipay wird der Geldmengenkategorie M2 zugeordnet und ist mit einer institutionellen, verzinsbaren Einlage zu vergleichen.
  • Die Transaktionskapazität des e-CNY ist vergleichsweise beschränkt. Die derzeitige Transaktionsrate beträgt 10.000 TPS (Transaktionen pro Sekunde) mit einem Potential bis zu 300.000 TPS. Alipay erreichte bereits 2019 während des als Single’s Day bekannten Shopping-Festivals 544.000 TPS.

Obwohl einige Behörden bereits Gehälter in e-CNY auszahlen, liegen keine Daten dazu vor, wie viele Menschen ihr Gehalt tatsächlich digital erhalten möchten. Der ehemalige Zentralbank-Chef Zhou Xiaochuan (周小川) warnt vor unerwünschten Konsequenzen. Der Staat könne zwar bestimmte Dinge festlegen, damit ist jedoch nicht gesagt, dass die Parteien einer Finanztransaktion auf Basis des e-CNY vertrauen. Es kann sein, dass Käufer und Empfänger das Mittel nur vorübergehend nutzen und die digitale Währung sofort wieder zurücktauschen.

Abbildung 4

Wirtschaftliche Stabilität und Vertrauen in Datenschutz sind wichtige Voraussetzungen für den Erfolg des digitalen Yuan

In Anbetracht der großen Skepsis steht die chinesische Regierung vor großen Herausforderungen, um den digitalen Yuan zu etablieren. Die Protestwelle in China, u.a. auch gegen die strikte Kontaktnachverfolgung durch die Health Code-App, zeigten, dass das Bewusstsein für personenbezogene Daten allgemein gewachsen ist – und auch die Skepsis bezüglich der Aufbewahrung dieser Daten bei offiziellen Stellen. Hinzu kommt, dass für eine Ausweitung und Wertstabilisierung beständiges Wirtschaftswachstum die Voraussetzung ist.

Um diesen Hindernissen zu begegnen, hat die chinesische Regierung verschiedene Möglichkeiten. Dazu zählen neben einer Verpflichtung der Nutzung des e-CNY für kommerzielle Zahlungsdienste wie Alipay oder Tencent-Pay auch die Nutzung als internationales Zahlungsmittel, um dem internationalen Zahlungssystem SWIFT etwas entgegenzusetzen und sich vom US-Dollar unabhängiger zu machen. Insofern ist die weitere Politik bezüglich des digitalen Yuan auch ein Indikator dafür, ob China den Binnenkonsum als Wachstumsmotor priorisiert oder auch weiterhin auf Exporte bzw. auf Handelsabkommen setzt.

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