Europas wachsende Abhängigkeit von Arzneiwirkstoffen aus China + Ausländische Investitionen + China-Afrika
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Europas Abhängigkeit von China bei Medikamenten nimmt zu
Der französische Pharmakonzern Euroapi, der Wirkstoffe für Medikamente herstellt, schließt zwei seiner Standorte in Europa und begründet dies unter anderem mit dem Preiswettbewerb mit chinesischen Firmen. Für Europa wird die Abhängigkeit von China und anderen Ländern bei kritischen Arzneimitteln immer mehr zur Herausforderung. Kurz nach ihrer Wiederwahl im Juli erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Medikamentensicherheit zu einer Priorität ihrer zweiten Amtszeit.
Neben der Schließung seiner Werke in Brindisi (Italien) und Haverhill (Großbritannien) fährt Euroapi die Produktion von 13 pharmazeutischen Wirkstoffen in Europa zurück. Das betrifft die Schmerzmittel Paracetamol und Metamizol, das in Deutschland nach zwei von drei Operationen verabreicht wird, und weitere häufig verordnete Medikamente, die bei Herzversagen, Zirrhose, Bluthochdruck und Nierenerkrankungen zum Einsatz kommen. Die Marktanteile von Euroapi dürften zu chinesischen Pharmaunternehmen wie Shandong Xinhua, China Grand, Hebei Jiheng und Zhejiang Haisen wandern. Schon heute enthalten zwischen 60 und 80 Prozent der Medikamente in Europa pharmazeutische Wirkstoffe aus China und Indien, wie eine Untersuchung der Critical Medicines Alliances (CMA) ergab. Die EU-Kommission hatte die Allianz ins Leben gerufen; im April nahm sie ihre Arbeit auf.
Bereits jetzt kommt es in der EU immer wieder zu Engpässen bei der Versorgung mit Medikamenten. Nationale Arzneimittelbehörden aus 26 Mitgliedsstaaten meldeten für die Jahre 2022 und 2023 Knappheiten und erwarten, dass sich das Problem noch verschärfen wird. 2022 produzierte China aufgrund der strengen Null-Covid-Politik weniger Wirkstoffe für Antibiotika; die Folge waren kritische Engpässe des Medikaments in Europa.
Eine robustere Gestaltung der Lieferketten hätte enorme Kosten. Laut der CMA sind Arzneiwirkstoffe aus China um 40 Prozent günstiger als jene aus Europa. Weil die EU-Mitgliedsstaaten die Gesundheitsausgaben so gering wie möglich halten möchten, können chinesische Unternehmen ihren Marktanteil weiter ausbauen. Das Beschaffungssystem in Deutschland ist beispielsweise so gestaltet, dass Käufer den Preis als alleinigen Faktor berücksichtigen können, solange ein Hersteller die Qualitätsstandards erfüllt.
Ob hier eine Wende gelingt, wird auch zeigen, wie die EU bei der Stärkung der wirtschaftlichen Sicherheit Fortschritte macht. In einem ersten Schritt hat die Europäische Arzneimittelagentur eine Liste mit 200 kritischen Wirkstoffen vorgelegt. Ein geplantes Gesetz über kritische Medikamente (Critical Medicines Act) soll eine bessere Koordination bei der Beschaffung von Arzneimitteln ermöglichen. Zudem sollen faire Wettbewerbsbedingungen für europäische Firmen gewährleistet werden, etwa indem importierte pharmazeutische Wirkstoffe europäische Umweltverträglichkeitsstandards erfüllen müssen. Unternehmen wie Euroapi sollen im Rahmen des EU-Programms für Projekte von gemeinsamem europäischem Interesse (Important Projects of Common European Interest, IPCEI) gefördert werden. Trotz dieser Bemühungen werden chinesische Wirkstoff-Produzenten weiter in der Lage sein, europäische Firmen zu unterbieten.
MERICS-Analyse: „Europa sollte Chinas Bestreben, seine Industrie zu modernisieren, zum Anlass nehmen, etwas gegen die eigene Deindustrialisierung zu unternehmen“, sagt Jeroen Groenewegen-Lau, Programmleiter Wissenschaft, Technologie und Innovationen bei MERICS. „Neben kritischen Technologien sollten Investitionen auch in weniger technologieintensive Bereiche wie aktive pharmazeutische Wirkstoffe fließen. Denn bereits jetzt kommt es bei einigen der am häufigsten verabreichten Medikamenten zu Knappheiten.“
Medienberichte und Quellen:
- Nikkei Asia: Europe reliant on Chinese drugs after local products priced out
- The Financial Times: The world’s broken market for medicines
- Euronews: Von der Leyen confirms Critical Medicines, Biotech Acts in pipeline
- Policy Circle: India struggling to free pharma industry from dependence on Chinese APIs
METRIX
18 Millionen
18 Millionen Mal ist das von Game Science entwickelte Spiel „Black Myth: Wukong“ in den ersten zwei Wochen nach seiner Veröffentlichung verkauft worden. Wukong ist das erste erfolgreiche AAA-Videospiel im Einzelspieler-Modus eines chinesischen Entwicklers. Die Entwicklungskosten werden auf 70 Millionen USD geschätzt. Das Action-Rollenspiel ist von der „Reise in den Westen“ inspiriert, einer der klassischen Romane der chinesischen Literatur aus dem 16. Jahrhundert. Die parteistaatliche Global Times feiert das Spiel als ein „neues Kapitel im globalen Kulturexport chinesischer Mythologie“. (Quellen: Bloomberg, Global Times)
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Chinas Anpassung der Negativliste erweitert Marktzugang für ausländische Unternehmen nur geringfügig
Die Fakten: China hat die Bereiche, in denen ausländische Investitionen untersagt sind, von 31 (2021) auf 29 reduziert. 2018 waren es noch 48 gewesen. Die aktuelle minimale Anpassung der Negativliste dürfte keinen nennenswerten Anstieg bei Investitionen zur Folge haben. Beijing öffnet einige wenige Nischenmärkte und hebt Beschränkungen in Bereichen auf, die für europäische Investoren nicht besonders interessant sind. Zudem hält China an der Negativliste für den Marktzugang fest, von der ausländische und chinesische Privatunternehmen betroffen sind. Diese Liste enthält aktuell 273 beschränkte oder gänzlich geschlossene Sektoren und stellt das viel größere Hindernis für ausländische Unternehmen dar.
Der Blick nach vorn: Die größten Änderungen der Negativliste in Xi Jinpings Amtszeit – die Öffnung für ausländische Autobauer und Finanzdienstleister – liegen schon eine Weile zurück. Die aktuellen Änderungen betreffen den Buchdruck, der durch andere Beschränkungen im Verlagswesen ein Nischenmarkt ist, und die Herstellung von Produkten der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), die für europäische Unternehmen wenig attraktiv ist. Krankenhäuser in sieben chinesischen Städten und der Provinz Hainan dürfen künftig zu 100 Prozent in ausländischem Besitz sein. In vier Freihandelszonen öffnet China die Bereiche Stammzellen und Gendiagnose für ausländische Investoren. Das betrifft allerdings nur wenige Unternehmen. Ein aktuelles Positionspapier der Europäischen Handelskammer in China bestätigt, dass der Marktzugang nicht der Hauptgrund für den Rückgang ausländischer Investitionen in China ist. Ausschlaggebend seien die trüben Aussichten für Chinas Wirtschaft und unvorhersehbare politische Entwicklungen in Beijing, Washington, Brüssel und den europäischen Hauptstädten.
MERICS-Analyse: „Die minimalen Anpassungen der Negativliste für ausländische Investitionen und das Festhalten an anderen Hindernissen lassen darauf schließen, dass Beijing mit dem aktuellen Grad an Offenheit zufrieden ist”, sagt MERICS-Experte Jacob Gunter. „Unternehmen hatten früher ein großes Interesse an Investitionen in China. Das Gewinnversprechen ist inzwischen aber ein Bruchteil von damals, weil gesamtwirtschaftliche und politische Faktoren die Stimmung unter Investoren trüben.“
Medienberichte und Quellen:
- State Council: Foreign Investment Negative List (2024 edition)
- Joint announcement by multiple authorities: Notice on the Pilot Work of Expanding Opening-up in the Medical Field
- WSJ: China Opens More Sectors to Foreign Investment
China verfolgt mit grünen Technologien für Afrika globale Ambitionen
Die Fakten: China und Afrika wollen ihre Zusammenarbeit bei erneuerbaren Energien, energieeffizienten Technologien und kohlenstoffarmen Projekte ausbauen – mit dem Ziel, Afrikas Energie- und Industrieinfrastruktur mit chinesischer „grüner“ Technologie zu modernisieren. Vergangene Woche veranstaltete China das Forum für Chinesisch-Afrikanische Zusammenarbeit (FOCAC), an dem Vertreter aus mehr als 50 afrikanischen Staaten teilnahmen. China versprach 360 Milliarden CNY (45,8 Mrd. EUR) für grüne Investitionen in Afrika, darunter in der Elektromobilität und Solarenergie. China will mit dem FOCAC seine Führungsrolle unter den Entwicklungsländern stärken.
Der Blick nach vorn: Chinas wachsendes wirtschaftliches Engagement in Afrika wirft die Frage auf, ob der Kontinent der neue Markt für grüne Technologien aus China wird – und zugleich ein Verbündeter gegen die USA und deren Versuche, China geopolitisch einzudämmen. Inmitten verschärfter Spannungen aufgrund von chinesischen Überkapazitäten und zunehmender Risikominderungsbestrebungen in den USA, Europa und Südostasien ist Afrika für Green-Tech-Unternehmen aus China ein zunehmend attraktiver Markt. Zugleich können günstige Produkte aus China dazu beitragen, das Ziel der Weltbank und Afrikanischen Entwicklungsbank zu erreichen, bis 2030 rund 300 Millionen Afrikaner:innen mit Strom zu versorgen. Für Beijing bietet sich nun die doppelte Chance, eine führende Rolle im afrikanischen Energiesektor einzunehmen und zugleich seinen politischen Einfluss auf dem Kontinent zu festigen.
MERICS-Analyse: „Vor dem Hintergrund des verschärften geopolitischen Wettbewerbs bietet Afrika China die Gelegenheit, den Eindämmungsbemühungen der USA entgegenzuwirken, seine Machtposition im globalen Süden auszubauen und die vom Westen geprägte internationale Ordnung umzugestalten “, sagt MERICS-Analyst Claus Soong. „Der Fokus auf die grüne Transformation Afrikas, der auf die Bedürfnisse der afrikanischen Länder zugeschnitten ist, zeigt Beijings wirtschaftspolitisches Fingerspitzengefühl.“
Medienberichte und Quellen:
- BBC: China shifts gear in Africa as it looks to a green future
- DW: China's Xi pledges to deepen Africa investment, trade ties
- Chinese MFA: Beijing declaration on jointly building an all-weather China-Africa community with a shared future for the new era
- Caixin: 渣打经济学家:中国对非洲融资将更注重经济效益 合作模式更趋多元化 (Standard Chartered Economist: China's Financing to Africa Will Focus More on Economic Benefits, Cooperation Models Becoming More Diversified) CN
- World Bank: New partnership aims to connect 300 million to electricity by 2030
Beijing zensiert Debatten über wirtschaftliche Probleme und knappe öffentliche Finanzen
Die Fakten: Die Menschen in China scheinen zunehmend besorgt über den Zustand der Wirtschaft und die angespannte Lage der öffentlichen Haushalte. Deutlich wurde das in den hitzigen Debatten, die sich um zwei neue politische Slogans entsponnen haben. In verschiedenen Landesteilen riefen Regionalregierungen zuletzt dazu auf, „Töpfe zu zerschlagen und das Metall zu verkaufen“ (砸锅卖铁). Gemeint ist, dass betroffene Bezirke und Landkreise – unter anderem in Chongqing, Ningxia, Qinghai und der Inneren Mongolei – alle verfügbaren Anlagen veräußern sollen, um Kredite zu bedienen. Einige Behörden gründeten bereits Arbeitsgruppen und der Slogan wurde zum Gegenstand von Online-Diskussionen über die Lage der öffentlichen Finanzen. Für Debatten sorgte auch eine Pressekonferenz des Staatsrats, in der eine „Altersvorsorge für Häuser“ (房屋养老金) angekündigt wurde, also neue Ansätze zur Finanzierung der Gebäudeinstandhaltung in Chinas Städten. Nachdem viele Wohnungseigentümer durch die Immobilienkrise signifikante Wertverluste erlitten haben, äußerten sie in Online-Diskussionen Besorgnis über ihre finanzielle Absicherung und Zukunft.
Der Blick nach vorn: Einige Stadt- und Provinzregierungen haben versucht, Bedenken über den Zustand der öffentlichen Haushalte zu zerstreuen. Bereits Ende 2023 hat Beijing zugleich zwölf Regionen genannt, in der die Verschuldung ein besonders hohes Risiko darstelle, darunter Liaoning, Jilin, Guizhou, Yunnan, Tianjin and Chongqing. Nach wie vor haben viele Regionen Schwierigkeiten, finanziell über die Runden zu kommen – geschweige denn Maßnahmen zur Belebung des Wachstums zu ergreifen. Auch in der Frage, wer für die Erhaltungskosten von Gebäuden aufkommen soll, versuchen die Behörden und parteistaatlichen Medien zu beschwichtigen. Die geplanten Maßnahmen seien vor allem eine Zusammenführung bestehender Mittel. Beide Themen haben die Zensur auf den Plan gerufen. Zahlreiche Medienberichte und Beiträge in Sozialen Medien sind nicht mehr abrufbar.
MERICS-Analyse: „Die wirtschaftlichen Probleme und knappen öffentlichen Finanzen bereiten immer mehr Menschen Sorgen und werden für Beijing daher zu einem zunehmend heiklen Thema“, sagt Katja Drinhausen, Programmleiterin Politik und Gesellschaft bei MERICS. „Chinas Führung mag Online-Diskussionen zum Thema zensieren können. Optimismus und Zuversicht über die wirtschaftliche Zukunft des Landes verordnen kann sie jedoch nicht.“
Medienberichte und Quellen:
- SCMP: Local governments in China to ‘smash iron pots, sell the steel’ to stave off debt risk
- Caixin: 多地提出“砸锅卖铁”盘活资产 (Various regions propose „breaking the iron pots and sell of the metal“ to reconsolidate public assets)
- Sixthone: China Seeks to Allay Public Concerns Over ‘Housing Pension’ Plans
- 21 Jingjiwang: 房屋养老金,真相来了!你要花钱吗?1分钟搞懂 (The pension for houses is becoming reality! Will you have to pay? All you need to know in 1 minute)
MERICS CHINA DIGEST
Spanien will EU-Zölle auf chinesische E-Autos überdenken (FT)
Bei seinem Besuch in China sagte der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez, die EU solle zusätzliche Zölle auf chinesische Elektrofahrzeuge überdenken. Die EU-Mitgliedsstaaten werden demnächst über die Zölle abstimmen. (11.09.2024)
China prüft Plan zur schrittweisen Anhebung des Rentenalters (Reuters)
Das Renteneintrittsalter in China ist derzeit eines der niedrigsten der Welt. Für Männer liegt es bei 60, für weibliche Angestellte bei 55 und für Fabrikarbeiterinnen bei 50 Jahren. Reformen sind angesichts der schrumpfenden erwerbstätigen Bevölkerung dringend erforderlich. (11.09.2024)
International bekannter chinesischer Künstler Gao Zhen verhaftet (The Guardian)
Der in den USA lebende Künstler wurde nach Angaben seines Bruders verhaftet, als er Verwandte in China besuchte. In seinen Werken setzte sich Gao Zhen unter anderem mit der Kulturrevolution und Mao Zedong auseinander. Die Behörden werfen ihm die Beleidigung von Chinas Helden und Märtyrern vor. (03.09.2024)
Mit der Aufnahme der drei emissionsintensiven Industrien würde Chinas nationales Handelssystem für CO2-Zertifikate etwa 60 Prozent der Kohlenstoffemissionen des Landes abdecken. Derzeit umfasst es nur den Energiesektor. (10.09.2024)